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Tech Talk 18.09.2018 | DNA der Digitalisierung aus architektureller IT-Produkt-Sicht

Es vergeht mittlerweile fast kein Tag mehr, an dem der Begriff „Digitalisierung“ nicht in den Medien auftaucht. Neben einer Vielzahl von positiven Assoziationen kommen aber immer mehr auch Fragen auf, welche Auswirkungen die Digitalisierung mit sich bringt. Das EnBW TechLAB hat sich daher in den vergangenen Wochen intensiv und agil mit der Fragestellung beschäftigt, was Digitalisierung aus architektureller IT-Produkt-Sicht impliziert diese im Rahmen des ersten TechTalks vorgestellt.

„Wir wollen die Architektur nach vorne bringen, Vorschläge vorstellen und Feedback einholen. Software-Entwicklung ist Teil der täglichen Arbeit bei EnBW und deshalb ist uns beim TechTalk jedes Beispiel willkommen. Hier soll Wissen unter Kollegen vermittelt werden, und zwar im Dialog, offen und kritisch“, sagt Boris Sucker, Leiter IT-Strategie und Digitalisierung.

Bei der Frage, was Digitalisierung ausmacht, nennt er als Beispiel für ein klassisches System den Playmobil-Baulaster aus den 70er-Jahren. „Der ist eine in sich geschlossene Sache, es gibt einen Besen und eine Schaufel, man kann ein paar Dinge damit tun. Aber baggern wird schwierig. Dafür brauchen wir ein neues System.“ Boris will damit zeigen, dass es mit integrierten, großen Lösungen schwierig sein kann, schnell auf sich verändernde Erfordernisse einzugehen. „Dafür muss man das Thema kleinteiliger angehen, zum Beispiel mit Lego oder Fischertechnik. Mit diesen Teilen kann man mal einen Laster bauen, mal ein Schiff …“

Da in einem großen Unternehmen verschiedene Techniken nebeneinander angewandt werden, stellt sich die Frage, wie man sie zusammenbringt. Von den drei Dimensionen Produktmanagement, Architektur und Qualitätssicherung fokussiert Boris beim TechTalk nur die Architektur: Darüber soll in der EnBW ein dynamischer Dialog etabliert werden, an dem sich jeder beteiligen kann.

„Die IT-Produktüberzeugungen, die wir aus den Geschäftszielen ableiten, sind die qualitative Dimension. Wie wir diese konkret umsetzen, das ist die quantitative Dimension. Da die Umsetzung schwieriger ist, wollen wir uns im Rahmen des Architekturprozesses zunächst auf qualitative Ziele einigen. Dafür gibt es seit zwei Wochen eine Architektur-Gilde und die konkrete Aufgabe an Kollegen in den jeweiligen Bereichen, die in der Gilde besprochenen Ziele operationalisierbar zu machen.“

Im Rahmen einer Produktentwicklung sind folgende Punkte relevant, mit denen die Gilde die Frage nach den qualitativen Zielen bearbeiten will:

  • Product Composition Model (wie wird ein technisches Produkt zusammengebaut?)
  • Product Content Model (welche Daten sind drin?)
  • Product Release Model (Vorstufe für Verteilung)
  • Infrastructure Service Model (egal ob Cloud oder On-Premise)
  • Product Deployment Model (wie kommen die Dinge aus dem Release in die Welt?)
  • Product Operating Model (wie wird es betrieben?)

Wie man Software-Architektur so gestalten kann, dass sie konkret auf Geschäftsziele einwirkt, erklärt der externe Software-Entwickler und Architekt Jan Algermissen:

„Tägliche Entscheidungen dürfen Entwickler nicht aus dem Bauch heraus treffen, denn sie wirken sich auf Geschäftsziele aus. Deshalb muss man die Entscheidungen immer auf Basis der Geschäftsziele treffen. In der Architektur-Gilde beschäftigen wir uns mit dem Prozess, den Entwicklerteams quantitative Ziele mitzugeben.“

An einem Beispiel-Szenario erklärt er, man wolle verhindern, dass externe Entwicklungsdienstleister infrastrukturelle Themen auf je verschiedene Art lösen und am Ende des Projekts einen „technologischen Zoo“ hinterlassen. „Wenn später ein internes Team übernehmen soll, um Betriebskosten zu senken, werden oft Folgeprojekte eröffnet. Um das zu vermeiden, könnten die IT-Architekten in der Gilde vorschlagen, die Services auf ein Sortiment beschränken, für das Know-how im Betrieb existiert.“

Boris möchte bewusst nicht von Richtlinien sprechen, die sich die Gilde für die Entwickler ausdenkt. Vielmehr sendet jeder Unternehmensbereich seine Softwarearchitekten in die Gilde. Diese versuchen im Anschluss, ihre Entwickler von den Entscheidungen zu überzeugen. „Dabei ist es auch gut, wenn sich das Geschäft frühzeitig mit den Leuten zusammentut, die sich um die IT kümmern. Denn IT als Erfüllungsgehilfe, ohne eine Produktmeinung zu haben, ist nicht zielführend!“

Als weiteres Beispiel-Szenario für den Einsatz von IT-Architektur beschreibt Jan die Risiko-Toleranz bei neuen Anforderungen: „Angenommen, ein System hat lange Build- und Deploy-Zeiten, released aber auch selten. Nun sollen die Release-Zyklen verkürzt werden, bei gleichbleibendem Service Level Agreement, weil in den nächsten Wochen agil ein Feature entwickelt werden soll. Hier hätte die Architektur durch Festlegung einer kürzeren maximalen Build-Deploy-Dauer geholfen, um auf die agilere Arbeitsweise vorzubereiten.“

Wie die neue Architektur-Gilde der EnBW organisiert ist, erklärt der Leiter der IT-Strategie & Architektur Marco Schommer: „Wir wollen alle Entscheidungen regeln, die einen Impact auf das Geschäft haben. Die Kernfrage ist: Was kann ich vereinheitlichen, wo muss ich spezifisch werden und warum? Es geht aber nicht darum, applikative Stile vorzuschreiben!“ Zurzeit gehören 27 Teilnehmer zur Gilde, darunter Domain Architects aus den Geschäftsbereichen Trading, Sales, Grid und anderen. Sie alle haben ein Stimmrecht, dazu kommen Gäste ohne Stimmrecht, etwa externe Experten oder Mitarbeiter aus dem Business-Bereich.

„Die 27 Leute, die sich hier treffen, wollen qualitative Ziele herausarbeiten, diskutieren und verabschieden, die in der Architektur erreicht werden sollen“, erklärt Boris. „Wir möchten in der Lage sein, die Produkte, die wir entwickeln, schnell zu experimentieren. Die Architekten der Abteilungen nehmen dann die Aufforderung mit, diese Objectives in quantifizierte, messbare Key Results zu überführen. Dabei können die Maßnahmen von Bereich zu Bereich variieren – und es kann genauso gut die Rückmeldung kommen, dass an den qualitativen Zielen etwas geändert werden muss!“

Auf die Frage, welche Auswirkungen die Gilde auf die tägliche Arbeit eines Entwicklers hat, antwortet Boris: „Wenn der Product-Owner sich für eigene Produktentwicklungen entscheidet, würde er fragen, welche Kriterien diese hinsichtlich Elastizität, Verfügbarkeit oder Integration mit anderen Produkten erfüllen müssen. Durch die Architektur-Maßnahmen aus der Gilde entstehen konkrete Vorgaben, zum Beispiel, wie die Services miteinander integriert werden sollen.“

Die Architektur-Gilde solle letztendlich helfen, das Thema Architektur in seinen verschiedenen Dimensionen auch für Menschen handhabbar zu machen, die Verantwortung tragen, aber gleichzeitig nicht in jeder technischen Detail-Tiefe Vorgaben machen können.

Folien zum Vortrag von Boris Sucker:

Folien zum Vortrag von Jan Algermissen:

Videoaufzeichnung des TechTalks:


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